julianomm hat geschrieben:
Ich denke das Problem ist, dass hier ein Interessenskonflikt vorliegt. Für den Zuschauer (Kunden) ist Unsicherheit = Spannung = gut.
Für den Investor ist Unsicherheit = Risiko = schlecht.
Die UEFA muss den Rahmen setzen, in dem dieser SPORTLICHE (und nicht geschäftliche) Wettbewerb ablaufen soll. Damit bestimmt sie, wieviel Unsicherheit der Wettbewerb beinhaltet. Und die aktuellen Änderungen sind im Wesentlichen für die Investoren gemacht worden. Kleinere Vereine und der Zuschauer verlieren.
Genau!
Mit der kleinen Einschränkung, dass die UEFA auch für den geschäftlichen Wettbewerb zuständig ist, soweit sie das Geld in ihren Wettbewerben verdient und verteilt.
Dass ganze Länder wie Holland aus der Fußballlandschaft verschwinden, hat ja seinen Grund in der finanziellen Ausstattung und nicht etwa darin, dass die Holländer keine guten Fussballer mehr ausbilden. Die entscheiden sich eben dann für den größten verfügbaren Fleischtopf (kein Vorwurf, würde ich auch so machen).
Die finanzielle Ausstattung wiederum war noch nie gleich verteilt.
Früher ging es um ein großes Umfeld (Großstadt), ein gutes Stadion und sicher auch um gute Jugendarbeit.
Dann trat das etwas in den Hintergrund, als Sponsoren entdeckten, wie sie persönlich und vielleicht auch finanziell von einem Engagement im Fussball profitieren konnten. Ich denke da an mittelständische Unternehmer, die viel eigenes Geld in die Vereine steckten, oft auch Klubpräsidenten wurden, und so Kontakte pflegen. In den 70er Jahren war das häufig der Fall. So konnten dann auch Vereine aus kleineren Städten in der BuLi mitspielen. EIn Beispiel wäre Canellas bei Offenbach, ein anderes Mast bei Braunschweig, der auch die Trikotwerbung einführte.
Auch der Aufstieg von Adidas und Puma mit Sponsoring über die Ausrüstung hat die Einnahmequellen verändert.
Als bisher letzte große Veränderung kam das PayTV, nicht so sehr in Deutschland aber massiv in England, Italien und Spanien. Die Fernsehgelder stiegen zwar schon vorher an (auch durch das Aufkommen der Privatsender in Europa), aber der richtige Boom kam erst mit dem zusätzlichen Wettbewerber PayTV.
Wie gesagt - es gab schon immer Standortvorteile. Neu ist, dass der Standortvorteil nun nicht mehr nur innerhalb eines Landes gilt sondern gleich auf das ganze Land ausstrahlt.
So profitieren auch Bournemouth (180 Tsd. Einwohner) oder Sassuolo (40 Tsd) von der Popularität ihrer Liga, die sich in (nationale und internationale) Fernsehgelder umsetzt, während Glagow oder Amsterdam auf der Verliererseite stehen.
Mit dieser Entwicklung verbinden sich für mich zwei Fragen:
Ist diese Entwicklung schlecht und wie sollte die UEFA darauf reagieren?
Zunächst mal ist es für den Zuschauer in Fernost sicher völlig egal (Amsterdam oder Sassuolo - Hauptsache Italien).
Aber für die Kultur in Europa ist es nicht egal. Die Entwicklung bedeutet, dass ein Fan in Holland, Schottland, Schweden, Kroatien keinen erstklassigen Fussball mehr vor der Haustür oder auch nur im eigenen Land hat. Dass seine Idole auswandern. Dass Fan- und auch Spielkultur verloren gehen (weniger Könner, Trainer wie Spieler, die ihr Wissen weiter geben). Letzlich wohl auch, dass Interesse schwindet, sowohl die Kinder in den Heimatverein zu schicken, auf den man stolz ist, als auch selber ins Stadion zu gehen. Eine Abwärtsspirale entsteht, der aber keine entsprechende Aufwärtsspirale in Bournemouth oder Sassuolo entgegensteht, wo der nächste Topverein nie weit entfernt und im selben Land spielte.
Ich finde das schade.
Die UEFA als internationaler Verband hat in meinen Augen die Aufgabe, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Nicht weil ich die Entwicklung bedauere, sondern weil die UEFA die Vereinigung und damit Interessenvertretung aller europäischen Verbände ist.
Die UEFA macht aber genau das Gegenteil. Durch die Umstrukturierung der europäischen Wettbewerbe wird die beschriebene Entwicklung noch verstärkt. Das beginnt Anfang der 90er mit Gruppen- statt KO-Spielen und setzt sich im Laufe der 90er fort durch die Aufnahme von immer mehr Nicht-Meistern und immer mehr Startplätzen für die erfolgreichen Länder. Durch die Gruppenspiele und durch die zusätzlichen Startplätze wurde der Zufallsfaktor entschärft und je nach Land faktische Startplatzgarantien ausgesprochen. Durch die an Ligazugehörigkeit geknüpften Startplätze wurden kleine Länder benachteiligt. Durch die Verteilung der Fernsehgelder zum Gutteil auch nach Ligazugehörigkeit ebenfalls.
Gleichzeitig wurden die anderen beiden Wettbewerbe zur EL zusamengelegt und massiv entwertet ("Cup der Verlierer").
Insgesamt wurde und wird also auch durch die neueste Reform die beschriebene Entwicklung verstärkt, zumal jetzt ja auch noch die Verteilung der TV-Pool-Gelder zwischen den Klubs eines Landes offenbar nicht mehr nur nach aktuell sportlichen sondern auch nach historischen Erfolgen oder gar Marktstärken vorgenommen werden wird.
Für mich ist Fussball immer noch mehr Sport als Unterhaltung. Das bedeutet, dass die besten Mannschaften spielen und gewinnen sollen. Sie können dabei auch gern Vorteile wie feste Gruppenplätze oder Setzlisten bekommen.
Aber das sollte sich dann an der Spielstärke des einzelnen Vereins und nicht seiner Liga orientieren (Leicester in Topf 1?).
Man sollte also die festen Gruppenplätze und auch die Einstiegsrunden in die Quali nach den 5JW-Punkten verteilen (von mir aus ein paar Bonuspunkte für die letzte Ligaplatzierung samt Ligaspielstärke, damit Leicester nicht in Quali 1 ran müsste).
Und (fast wichtiger) man sollte die Gelder solidarischer und rein nach Leistung verteilen - auch zwischen EL und CL.
Beides würde die heutigen Standortnachteile von Vereinen aus kleineren Ländern verringern, in dem Rahmen in dem es der UEFA möglich ist, anstatt sie zu vergrößern.
Ein weiterer Weg wäre, den Zufallsfaktor in den Wettbewerben wieder zu erhöhen. Da ein reines KO-System der Planungssicherheit doch stark entgegensteht (Bayern raus in Runde 1, kann ja mal passieren), muss es wohl bei den Gruppenspielen bleiben. In meinem letzten Post hatte ich daher einen Vorschlag gemacht, die beiden Systeme zu verbinden.
Supranationale Ligen wären, wie ich und andere schon geschrieben haben, durch die Stärkung der finanziellen Basis auch ein Schritt in die richtige Richtung.
Letztlich liegt es in der Verantwortung der kleinen und mittleren Länder in der UEFA für den richtigen Kurs zu sorgen. Sie haben schließlich die Mehrheit. Warum das nicht passiert ist mir schleierhaft und nur mit der allgemeinen Disfunktionalität der Sportorganisationen zu erklären.
Nun ja, der Radsport hat sich schon ins Abseits gedopt, die Leichathletik findet öffentlich kaum mehr statt, die Formel 1 ist in der Krise und Olympia hat sich mächtig desavouiert.
Die florierenden US-Ligen dagegen sind professionell geführt und unterliegen einer starken Aufsicht durch Öffentlichkeit und Justiz (Schadenersatzprozesse im Football). Dadurch schaffen sie es durch ständige Anpassungen nachteilige Entwicklungen aufzuhalten. Beispiele wären der erfolgreiche Kampf gegen ein zwischenzeitlich völlig dopingverseuchtes Baseball oder die ständigen Regeländerungen zur Entschärfung der (immer noch enormen) Verletzungsrisiken beim Football.
Dem Fussball bzw. seinen Organisationen fehlen leider diese Kontrollmechanismen - mit entsprechenden Folgen.
Schade.